Historie und Histörchen (72): Leiding konnte den Golf nicht mehr verhindern
Jürgen Schober aus der Presseabteilung musste mich begleiten. Voll beseelt vom reinen Glauben hatte ich mich geweigert, ein Auto aus der Nähe von Hannover in der Ferne zu beurteilen. Also fuhren wir jetzt in meinem, einem Jungredakteur angemessen alten Käfer (Baujahr 1965) die schmale, gerade Waldstraße entlang der Zauns zum Haupteingang des Testgeländes in Ehra Lessin. Auf der riesigen Skidpad dort sollte ich mich mit dem Auto, das den Konzern aus der Krise führen sollte, austoben können.Von Peter Schwerdtmann
Jürgen Schober aus der Presseabteilung musste mich begleiten. Voll beseelt vom reinen Glauben hatte ich mich geweigert, ein Auto aus der Nähe von Hannover in der Ferne zu beurteilen. Also fuhren wir jetzt in meinem, einem Jungredakteur angemessen alten Käfer (Baujahr 1965) die schmale, gerade Waldstraße entlang der Zauns zum Haupteingang des Testgeländes in Ehra Lessin. Auf der riesigen Skidpad dort sollte ich mich mit dem Auto, das den Konzern aus der Krise führen sollte, austoben können.
Lehmanns Erlkönigfotos kannten wir 1974 schon. Aber jetzt stand die
erste körperliche Berührung kurz bevor. Als mein grüner Käfer neben dem
roten Golf stand, war es überdeutlich zu sehen. Hier beginnt in Ehra
eine neue Ära. Kompakte Außenmaße und klare Kante prägten das Bild.
Neben dem quellenden Formen des Käfers nahm er sich eher bescheiden aus
mit seinen 3,70 Metern Länge gegenüber den fast 4,10 Metern des Käfers.
In der 800-Kilogramm-Klasse bewegten sich beide, erläuterte Schober.
Aber mein Käfer tat das mit 34 PS, der Golf in Ehra trat aber mit 70 PS
an. Was für ein Unterschied! Selbst der schwächere der beiden
1,5-Liter-Vierzylinder fuhr mit seinen 50 PS in einer anderen Klasse,
und das ohne das typische Jaulen des Boxer-Motors aus dem Heck.
Es wäre zuviel behauptet, wenn ich damals den Klang des Motors hätte
identifizieren können. Aber wir wussten ja, dass die Motoren eigentlich
aus Ingolstadt stammten, von der Audi NSU Auto Union. Deren technische
Kompetenz hatte Volkswagen ebenso mitgekauft wie den NSU/VW K 70 und den
Audi 80, der schon 1973 zum ersten Volkswagen Passat mutiert war.
Der Golf beendete eine dramatische Phase der Unternehmensgeschichte. Der
erste VW-Chef, Heinrich Nordhoff, hielt zu lange am Käfer-Konzept mit
luftgekühltem Heckmotor und Heckantrieb fest. Zu lange. Und das Design
des Käfers, aber auch der nachfolgenden Versuche, einen großen
Volkswagen zu etablieren, fanden im Markt immer weniger Nachhall. Es
ging bergab.
Nachdem Importmarken wie Fiat, Renault, Peugeot und Simca bereits in den
1960er Jahren kompakte Modelle mit Frontantrieb präsentiert hatten,
wollte der Nordhoff-Nachfolger Kurt Lotz diesem Beispiel folgen. Er
wollte den Systemwechsel auf wassergekühlten Frontmotor und
Frontantrieb. Aber es gab auch Versuche wie den von Ferdinand Piech
entwickelten EA 266 (EA für Entwicklungsauftrag) mit Mittelmotor unter
der Rücksitzbank. Doch der Lotz-Nachfolger Rudolf Leiding verwarf auch
dieses Konzept 1971. Giorgio Giugiaro, der Designer des ersten Golf,
erinnert sich: „Leiding kam im Prinzip zu spät, um den Golf noch
verhindern zu können.“ Die Audi-Technologie hatte sich in Wolfsburg
durchgesetzt.
Das geschah in einer Zeit, in der sich die Forschung und Entwicklung in
Wolfsburg dem Spott ausgesetzt sah. „Elfenbeinturm“ war noch eine der
sanfteren Bemerkungen über die Effektivität der Entwickler. Von außen
gut sichtbar hatte Volkswagen zwei große Gebäudekomplexe für die 6000
Mitarbeiter der F&E errichtet, was zum nächsten Spott führte: Das
sei die Technische Hochschule Wolfsburg, hörte man. Die lernten noch,
wie man ein modernes Auto baut.
Zum Beweis, dass die Entwickler nicht nur Däumchen drehten und zu
Unrecht von den Ingolstädter Kollegen belächelt wurden, lud die
Presseabteilung 1973 zu einer Art Tag der offenen Tür, um alles zu
präsentieren, was hinter den weißen Fassaden der F&E-Gebäude
geschah.
Wir sahen alle Antriebe und alle möglichen Alternativen zu den aktuellen
Antrieben, die damals denkbar waren: Volkswagen mit Gasturbine, mit
Wasserstoff betriebenen Verbrennungsmotoren, mit Erdgas als Treibstoff,
Elektroautos bis hin zu E-Transportern, deren Batterien unter der
Ladefläche saßen und ausgetauscht werden konnten. Wenn ich mich recht
erinnere, war auch von Brennstoffzellen und von neuen Treibstoffen die
Rede, auch von Methanol, das mit Hilfe der Energie aus Schnellen Brütern
synthetisiert werden sollte. Das verbrennt zu Methan, was wiederum als
Treibstoff eingesetzt werden konnte. Denn Erdgas und Methan sind
chemisch identisch.
Vom Schnellen wurde nichts. Auch von den anderen Technologien hören wir
erst in der jüngeren Vergangenheit wieder. Dennoch hatte Volkswagen der
Welt gezeigt, dass die eigene F&E alle nur denkbaren Eisen im Feuer
hatte. Aber in der ersten Energiekrise wurde vieles davon wieder
kassiert und auf eine bessere Zukunft verschoben. Doch dann kam erst der
Passat und ein Jahr später – 1974 – der Golf.
Ein Hoch auf den neuen Golf: Der "Vater" vom Golf I-Design, Girogio Giugiaro, und der "Wächter" übers Volkswagen-Design Walter de Silva (von links). Foto: Auto-Medienportal.Net
Und das war gut so. Denn schon von der ersten Generation konnte Volkswagen rund sechs Millionen Exemplare verkaufen. Das neue Volumenmodell des Konzerns war der Erfolg, der das Unternehmen aus der Krise befreite. Der Generation I folgten sechs weitere, die es inzwischen auf insgesamt mehr als 35 Millionen Einheiten gebracht haben. Jede dieser Generationen festigte den Ruf des kompakten Wolfsburgers, in seiner Klasse die Maßstäbe zu setzen. Rasch gewöhnten wir uns daran, alle Zwei-Volumen-Autos mit Steilheck unter dem Gattungsnamen Golf-Klasse einzuordnen.
Jedes Auto, dass in diesem Segment antritt, muss sich mit ihm messen.
Das wird auch bei der Generation VIII nicht anders sein, wenn sie Ende
dieses Jahres bei den Händlern steht. Es wird wieder Gründe geben, sich
über den Neuen zu wundern. So wie es mir bei der Nummer 1 ging, als ich
merkte, wie der Golf auf der Skippad sich kräftig aus der schnell
gefahrenen Kreisen lehnte und dabei das kurvenäußere Beinchen hob. So
etwas wird dem neuen Golf bestimmt nicht passieren.
Text: ampnet/Sm
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