Exklusiv: 110 Jahre Morgan: Die Traditionalisten fahren ins Elektrozeitalter
Glückwünsche vor dem Geburtstag sollen ja bekanntlich Unglück bringen, doch bei der britischen Sportwagenmanufaktur gingen die Uhren schon immer anders, und deshalb bringt Morgan jetzt Monate vor dem eigentlichen Termin die Jubiläumsmodelle zum 110-jährigen Bestehen der Marke auf den Markt.
Am 1. Mai 1909 stellte Firmengründer Harry Frederick Stanley Morgan sein
erstes motorisiertes Dreirad vor, das von einem sieben PS starken
Peugeot-Motor angetrieben wurde und das auf Anhieb erfolgreich war.
Seitdem hat sich nur wenig geändert. Immerhin kam schon 1936 der Morgan
4-4 mit vier Rädern auf den Markt, der fast unverändert bis heute
hergestellt wird. Produziert wird noch immer in Malvern Link, die
Morgan-Familie hat noch immer (im Hintergrund) das Sagen, und die
Modelle wirken unverändert wie aus der Zeit gefallen.
Offensichtlich liegen die Verantwortlichen in Malvern Link mit ihrer
Modellpolitik richtig, denn in der Vergangenheit wurden die wenigen
zaghaften Versuche, modernere Modelle zu produzieren von der Kundschaft
mit einer roten Karte beantwortet. In den 1960er Jahren versuchte Morgan
einmal, dem Zeitgeist zu folgen, brachte ein Coupé auf den Markt und
verschreckte damit die Kunden nachhaltig. Morgan und modernes Design? Am
Ende noch eine Kunststoff-Karosserie? Oder ein Coupé? „Nein, danke“,
sagten die Fans der Marke und wandten sich wieder den rollenden
Fossilien zu. Auch die Karriere der Coupé-Version des Supersportwagens
Aero war bald wieder beendet. Alles blieb, wie es einmal war. Deshalb
kann man absolut sicher sein, dass sich die Briten niemals dem Zeitgeist
opfern und ein SUV auf den Markt rollen werden.
Mit dieser Ausrichtung war die Firma über die Jahrzehnte erfolgreich.
Während um Malvern Link herum die britische Automobilindustrie
verschwand und Traditionsmarken wie Morris, Austin, Triumph und Sunbeam
untergingen oder wie Jaguar und Land Rover ins Ausland verkauft wurden,
bastelte man in den West Midlands unbeeindruckt weiter an seinen
Modellen. Wie zu Zeiten des Kutschenbaus spielt dabei Eschenholz eine im
wahrsten Wortsinn tragende Rolle.
Tradition macht sich offensichtlich bezahlt, denn heute ist Morgan
weltweit die älteste Automobilmarke im Familienbesitz, und irgendwie
erinnert die Firma inzwischen an das berühmte gallische Dorf: Die
britische Automobilindustrie ist verschwunden. Wirklich? Nein, ein
kleiner Stamm in Malvern Link hält weiter die britische Fahne hoch. Dass
die Produktionszahlen mit rund 1000 Modellen sehr überschaubar sind,
schmälert nicht den Erfolg, sondern höchstens die Spannung bei den
Kunden. Lieferfristen von mehr als einem Jahr sind nicht ungewöhnlich,
und auch das akzeptiert der geduldige Morgan-Fan ohne Klagen.
Aktuell besteht die Modellpalette der Manufaktur aus den Modellen 4/4,
Roadster und 3-Wheeler. Für die Jubiläumsmodelle spendierten die
Marketingexperten (ja so etwas gibt es auch in den West Midlands) den
drei Modellen Sonderausstattungen – unter anderem spezielle
Lackierungen, Ledersitze und neue Auspuffanlagen – ohne Aufpreis.
Außerdem weist eine silberne „110“ auf der Motorhaube die
Jubiläumsversionen aus. Der 3-Wheeler als Basisangebot wird von einem
Zweizylinder angetrieben, dessen 68 PS für eine Höchstgeschwindigkeit
von 185 km/h ausreichen.
Einen ganz eigenen Rekord hält der Plus 4, der seit 1936 fast
unverändert gebaut wird. Allerdings hat der Wagen inzwischen doch von
den Errungenschaften der modernen Automobilindustrie profitiert und
nutzt die 154 PS (189 km/h Spitze) eines Ford-Vierzylinders für den
Antrieb. Morgan verstand es stets, sich bei Großserienherstellern zu
bedienen und die Technik unter dem antiquierten Blech zu platzieren.
Auch der Sechszylinder des Modells Roadster stammt von Ford und
entwickelt 280 PS unter der lang gestreckten Motorhaube, was sich
wiederum in eine Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h übersetzt. Wie der
Plus 4 hat das Jubiläumsmodell des Roadster eine neue Frontschürze,
Ledersitze und verchromte Endrohre.
Mag man sich bei Morgan auch nicht von den klassischen Formen trennen,
der Zukunft kann man sich nicht vollkommen verschließen. Die
traditionsbewussten Freunde der Marke müssen im kommenden Jahr ganz
besonders stark sein, denn auch in Malvern Link schlägt die Stunde der
Elektromobilität. Ausgestattet mit staatlichen Subventionen und einer
eigenen Investition von sechs Millionen Pfund (ca. 6,9 Millionen Euro)
wird die Marke Hybrid- und Elektromodelle auf den Markt rollen.
Mit
dieser Entwicklung „wollen wir die CO2-Emissionen deutlich verringern
und gleichzeitig den Benzinverbrauch senken“, erklärt ein Sprecher. Der
elektrisch angetriebene 3-Wheeler wurde bereits auf dem Genfer
Automobilsalon im Frühjahr vorgestellt. „Wir sind jetzt in der Lage, die
besten Hybrid- und Elektroantriebe zu entwickeln, die noch vor Ende des
Jahrzehnts in die Modelle integriert werden,“ erklärt Geschäftsführer
Steve Morris. „So werden wir neue Kunden in unseren wichtigsten Märkten
gewinnen.“
Text: ampnet/Walther Wuttke, cen
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