50 Jahre Dacia: Von der Ostblock-Kopie zum Global Player
Wie man als Pkw-Hersteller eine Metamorphose von belächelten Ostblock-Kopien zum respektablen Global Player vollzieht, hat Dacia eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Im August wird die Marke 50 Jahre alt. Ein Gespür für die richtigen Modelle zur richtigen Zeit war für den Erfolg sicher hilfreich – das Einkommensgefälle in der Europäischen Union aber auch.Die historischen Bilder zeigen einen Diktator, dem der Stolz ins Gesicht
geschrieben ist: Als Nicolae Ceausescu im Spätsommer 1968 den ersten
Dacia 1100 aus der Produktionshalle fuhr, hatte sich die Vision des
rumänischen Partei- und Staatschefs von einer eigenen, staatsgelenkten
Automobilproduktion mit einem ernst zu nehmenden Konkurrenten zum
sowjetischen Moskwitsch erfüllt.
Die 1943 errichtete und zunächst mit
Kriegsaufträgen ausgelastete Fabrik in Mioveni war in Automobilfabrik
Pitesti umbenannt worden und hatte mit dem französischen Renault-Konzern
einen westlichen Partner gefunden, dessen Autos in Lizenz unter dem
eigenem Namen Dacia gebaut werden konnten. Schon bald genossen die auf
der Basis des Renault R 8 und später des R 12 gefertigten Viertürer im
gesamten realsozialistischen Wirtschaftsraum einen soliden Ruf. Mit mehr
als 1,9 Millionen produzierten Exemplaren wurde der Dacia 1300
(Ex-R-12) zu einer Art Volkswagen Rumäniens.
Die auf zehn Jahre verabredete Kooperation mit Renault lief aus, die
rumänische Auto-Maschine munter weiter, warf R-12-Derivate wie Pick-ups
und Kombis aus, exportierte nach China und in die DDR. Im Osten
Deutschlands war Dacia wegen der vermeintlichen West-Verwandtschaft
häufig höher angesehen als Skoda, Lada oder die einheimischen Produkte
Trabant und Wartburg.
Die politische Wende in Rumänien 1989 und der
folgende Zustrom billiger Gebrauchtwagen aus dem Westen gingen nicht
spurlos am Werk bei Pitesti und seinen Arbeitnehmern vorüber. Nach einem
kurzen Flirt mit dem PSA-Konzern besann man sich auf alte
Freundschaften, die Dacia vor dem Schlimmsten bewahrten. 1999
unterzeichneten der damalige rumänische Staatspräsident Emil
Constantinescu und Renault-Vorstandsvorsitzender Louis Schweitzer jenen
Vertrag, der Renault 51 Prozent der Dacia-Geschäftsanteile sicherte.
Sukzessive wurde die Mehrheit auf über 90 Prozent ausgebaut.
Welcher der beiden Partner seither mehr von der Vereinbarung profitiert
hat, ist schwer zu entscheiden. Eine Erfolgsgeschichte ist es für beide.
Dacia konnte neue Märkte erschließen und seine Produktion hochfahren,
Renault übernahm einen funktionierenden Betrieb mit qualifiziertem
Personal, das aber nur einen Teil dessen kostete, was man andernorts
seinen Arbeitern zahlen musste.
Endgültig zur Cash-Cow wurde Dacia für
Renault, als Rumänien 2007 dem gemeinsamen Markt der Europäischen Union
beitrat. Der Wegfall von Zollschranken und anderen Handelshemmnissen
machte den Vertrieb von Dacia-Autos in Europa noch lukrativer. Dass
Renault-Lobbyisten ihren Anteil an der beschleunigten Aufnahme des
ehemaligen Ostblock-Staats in die Union hatten, darf als gegeben
angesehen werden.
Renault exportierte technisches Know-how nach Rumänien, investierte in
moderne Produktionsanlagen und neue Modelle. Wer heute die Hallen in
Mioveni besucht, ist erstaunt über den hohen Automatisierungsgrad der
Fertigung. Dort, wo weiterhin Menschen – insgesamt sind es rund 17 700 –
am Band stehen, wirkt der Vorteil des EU-Einkommensgefälles.
Wie hoch
genau der Durchschnittsverdienst eines Bandarbeiters in Pitesti ist, mag
Antoine Doucerain nicht verraten. Allerdings liege das monatliche Salär
„signifikant über dem Durchschnittseinkommen für Industrie-Arbeiter in
Rumänien“, sagt der Chef der Groupe Renault Romania. Nach Angaben des
staatlichen Statistikinstituts betrug das monatliche
Durchschnittseinkommen des Jahres 2016 im Land umgerechnet etwa 437
Euro. Seit Anfang 2018 gilt ein Brutto-Mindestlohn von 407 Euro. Der
Drei-Schicht-Betrieb in Mioveni ist also nach wie vor vergleichweise
günstig aufrecht zu erhalten.
Wie viele Arbeitsplätze in der Region zwischen Pitesti und Bukarest von
der Dacia-Fertigung abhängen, ist nur grob zu schätzen. Die
Renault-Gruppe unterhält in Titu noch ein Entwicklungs- und Testzentrum,
wo allein weitere 2800 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Das rund 350
Hektar große Gelände wird zudem von Allianzpartner Nissan genutzt. Rund
1500 Zulieferer nennt die Selbstauskunft der Groupe Renault Romania.
Nicht selten arbeiten mehrere Generationen einer Familie für den
Konzern. Die integrierte Produktion aus Motoren- und Getriebebau,
Presswerk, Lackiererei und Endmontage in Mioveni liefert auch
Antriebskomponenten für andere Renault-Werke. Ein Erbe aus
sozialistischer Vergangenheit ist der hohe Frauenanteil von 31 Prozent,
den man unter anderem beim Schweißprozess am Fließband beobachten kann.
Fast 314 000 Fahrzeuge verließen 2017 das Werk.
Gleichzeitig wurde das Qualitätsniveau der Produkte konsequent
hochgefahren. So weit, dass Renault sein eigenes Markenlogo ohne Scheu
für lupenreine Dacia-Produkte hergibt. Ob in Mioveni ein Renault oder
ein Dacia die Halle verlässt, spielt keine Rolle mehr, jeder hat die
gleichen Qualitätsanforderungen und den gleichen Produktionsprozess
durchlaufen.
Mit wachsender Akzeptanz und Nachfrage der Dacia Logan,
Lodgy, Sandero und Duster in aller Welt wuchs auch die
Investitionsbereitschaft des Konzerns. Heute werden Dacias in eigenen
Fertigungsstätten zum Beispiel in Russland, Indien, Marokko und
Argentinien gebaut. Mehr als fünf Millionen Einheiten seit 2004.
Gleichzeitig gelang es, im Heimatland trotz vielfältiger Importangebote
eine stabile Marktführerschaft zu bewahren: 37,2 Prozent des
Neuwagenverkaufs gehen auf das Dacia-Konto.
Wie nützlich die Dacia-Übernahme für Renault in Westeuropa war, ist am
deutschen Beispiel gut zu erkennen: Im Jahr 2006 konnten die Franzosen
hierzulande aufstrebende Importeure wie Skoda oder Hyundai noch souverän
auf Distanz halten, behaupteten mit fast 150 000 Neuzulassungen eine
Spitzenstellung. Zehn Jahre später kommt Renault in Deutschland nur auf
125 000 Neuanmeldungen, mehr als 49 000 Dacia-Registrierungen spülten
aber reichen Trost in die Kasse.
Alle 54 Sekunden verlässt in Mioveni ein Fahrzeug die Halle. Aus Sicht
der Verantwortlichen ist die Taktzahl aber noch nicht an ihrem Optimum
angekommen. Dank eines außergewöhnlichen Preis-Leistungs-Verhältnisses
und origineller Werbung („…für die, die kein Statussymbol brauchen“)
tragen deutsche Kunden einen Gutteil zur anhaltend wachsenden Nachfrage
bei.
Allein zwischen Mai 2017 und Ende Mai dieses Jahres stieg die Zahl
der Dacia-Neuzulassungen in Deutschland um fast 20 Prozent. Und das ganz
ohne Stauassistent, adaptives Dämpfersystem und Querverkehrswarner.
Text: ampnet/Axel F. Busse
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